Rund 100 Meter unter dem Meeresspiegel verläuft die Trasse des „Istanbul Strait Road Tube Crossing Project“ an der tiefsten Stelle unter der Bosporus-Meerenge. Dort herrscht ein Wasserdruck von etwa 11 Bar: elffacher Atmosphärendruck. Nie zuvor ist ein so großer, leistungsfähiger Tunnel unter derart vielschichtigen und extremen Bedingungen unterirdisch gebaut worden. Bei einem Innendurchmesser von zwölf Metern nimmt er auf zwei übereinander verlaufenden Ebenen pro Fahrtrichtung zwei Spuren auf. Um den Schiffsverkehr nicht zu behindern, erfolgt der Vortrieb mit einer speziell konzipierten Tunnelbohrmaschine (TBM). 3,34 Kilometer des insgesamt 5,4 Kilometer langen ersten Straßentunnels zwischen dem asiatischen und dem europäischen Teil Istanbuls entstehen mit einem Herrenknecht-Mixschild.
Die schiere Größe der Röhre macht den Bau nicht eben einfacher. Doch nur mit diesem Durchmesser kann der Eurasia Tunnel seine Aufgabe erfüllen: Mehrere zehntausend Autos am Tag aufzunehmen. Eine Summe, die weitreichende Folgen für den Verkehr in der Stadt hat. Vor allem Pendler aus dem Süden, die bisher die chronisch verstopfte erste Bosporusbrücke im Zentrum nehmen müssen, können dann auf direktem Weg das Ufer wechseln. In der Rush Hour kann das die Fahrzeit vieler von bis zu 100 auf 15 Minuten verkürzen.
Auch die weiter nördlich gelegene Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke, derzeit das zweite Nadelöhr im Autoverkehr zwischen den Kontinenten, wird entlastet. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Röhre helfen, den stockenden Verkehr in der 18-Millionen-Metropole wieder zum Fließen zu bringen. Ein Umstand, der neben einer enormen Zeitersparnis für die drei Millionen Bosporus-Pendler noch einen weiteren Vorteil bringt: eine deutliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes in der Stadt.
Eurasia Tunnel: Die Tunneltrasse beim Istanbul Strait Road Tube Crossing Project verläuft an ihrem tiefsten Punkt über 100 m unter dem Wasserspiegel der Meerenge. Neigungen von bis zu 5% werden bewältigt.
Für den Vortrieb in der wechselhaften, heterogenen Geologie kommt eine TBM vom Typ Mixschild zum Einsatz. Die Mixschild-Technologie erlaubt auch in der extrem anspruchsvollen Umgebung unter dem Bosporus einen Vortrieb von 8 bis 10 Metern in 24 Stunden. Das Schneidrad ist mit verschiedenen Werkzeugen für alle Eventualitäten ausgestattet: Große Schälmesser kratzen weicheren Untergrund von der Ortsbrust ab, von wo er – mit einem Wasser-Ton-Gemisch vermengt – durch einen hydraulischen Förderkreislauf zur Separationsanlage im Startschacht gespült wird.
Stößt die Maschine auf härteren Fels, verrichten die 35 Doppel-Schneidrollen den Großteil der Arbeit. Die mit Verschieberohr rund eine Tonne schweren 19-Zoll-Disken werden über die Verschiebezylinder des Schneidradantriebs an die Ortsbrust gepresst und rollen daran ab. Einzelne Stücke, so genannte Chips, brechen aus dem Fels. Kleinere Stücke werden direkt durch einen Rechen vom Spülkreislauf angesaugt und abtransportiert. Der Rest wird von einem Zangenbrecher vor dem Rechen zerkleinert, der – wie ein mächtiger hydraulischer Nussknacker – selbst große Brocken mühelos zerbröselt. Gleichzeitig dient der hydraulische Kreislauf zu dem Aufbau und der Regelung des Stützdrucks gegen den anstehenden Wasser- und Erddruck des Bosporus. Ein von Herrenknecht weiterentwickeltes Prinzip, das sich weltweit bereits unzählige Male bewährt hat.
Mit Herrenknecht hatten wir einen Partner an Bord, dem wir voll vertrauen können.
Başar Arıoğlu, Vorstandsvorsitzender Yapı Merkezi Bane NOR
Um starke Materialabnutzung frühzeitig zu erkennen und notwendige Wartungsarbeiten gezielt angehen zu können, sind in den Abbauwerkzeugen sowie im Stahlbau des Schneidrades Verschleißdetektoren integriert. Überdies sind die Schneidrollen mit dem von Herrenknecht entwickelten Überwachungssystem DCRM (Disc Cutter Rotation Monitoring) ausgestattet. Es meldet Daten zu Drehbewegung und Temperatur der Schneidrollen in Echtzeit an den Maschinenfahrer im Steuercontainer. So lassen sich Rückschlüsse auf den Zustand der Werkzeuge ziehen und Wechselintervalle besser planen.
Fakten zum Projekt
Laut umfangreichen geologischen und hydrogeologischen Voruntersuchungen müssen die Tunnelbauer mit bis zu 11 Bar Wasserdruck entlang der Trasse rechnen. Um selbst bei hohen anstehenden Drücken die Abbauwerkzeuge schnell und sicher wechseln zu können, entwickelt Herrenknecht ein innovatives Schneidradkonzept. „Die besondere Herausforderung bestand darin, ein Schneidrad zu entwickeln, das den Wechsel der Abbauwerkzeuge auch bei dem enormen Außendruck sicher von innen ermöglicht“, erklärt Werner Burger, Konstruktionsleiter bei Herrenknecht.
Ergebnis: ein durch schmale Arbeitskammern von der Rückseite begehbares Schneidrad. So können die Werkzeuge durch spezielle Schleusensysteme vom Personal unter atmosphärischen Druckverhältnissen sicher ausgetauscht werden. Dank der Schneidradinnovation können zeit- und kostenaufwendige Einstiege unter Druckluft für Wartungsarbeiten reduziert werden. Zusätzlich ist der Mixschild mit einem speziellen, neu entwickelten Schleusensystem ausgestattet. Es ermöglicht im Bedarfsfall Drucklufteinstiege bei weit über 5 Bar.
Der Startschuss für das "Jahrhundertbauwerk" fällt im April 2014 am asiatischen Ufer der Meerenge. Dank der Pionier-Technologie und der idealen Zusammenarbeit aller Projektpartner erreicht die TBM unter dem Bosporus hervorragende Bestleistungen von bis zu 92 Metern pro Woche. Nach nur 16 Monaten Vortrieb durchsticht der Mixschild am 22. August 2015 plangenau die Wand des Zielschachtes auf der europäischen Seite.
„Modernste Technik ist eines von vielen Puzzleteilen. Entscheidender war jedoch unser unerschütterliche Wille und gegenseitiges Vertrauen ineinander. Nur dadurch haben wir gemeinsam den Durchbruch bei diesem außergewöhnlichen Projekt geschafft“, betont Martin Herrenknecht. „Heute hier zu stehen ist für mich wie ein Traum, der wahr wird“, ergänzt Başar Arıoğlu, Vorstandsvorsitzender von Yapı Merkezi, bei der Durchstichs-Zeremonie stolz.
Der erfolgreich abgeschlossene Vortrieb markiert neue Machbarkeits-Standards im Tunnelbau. Das neue Tunnelbauwerk ist die erste direkte Verbindung zwischen dem historischen Golden Horn auf der europäischen Seite und dem Hafengebiet auf der asiatischen Seite. In Istanbul sorgt der neue Autotunnel für eine gravierende Verkehrsentlastung beim Passieren der Meeresenge. Seit Ende 2016 im Eurasia Tunnel wechseln täglich mehrere zehntausend Fahrzeuge zwischen den Kontinenten.
Am 22. August 2015 nach 16 Monaten Vortrieb unterquert die Tunnelbohrmaschine von Herrenknecht erfolgreich den Bosporus.
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Vortriebslänge | 3.340 m |
Geologie | Heterogene Böden, 70% Trakya Formation (Tonstein, Sandstein, vulkanisches Gestein und Fels) und 20% marine Sedimente (Ton, Schluff, Sand, Kies, Findlinge) |
Bauherr | Republic of Turkey Ministry of Transport, Maritime Affairs and Communications and General Directorate of Infrastructure Investments (AYGM) |
Auftraggeber | Yapı Merkezi İnşaat ve Sanayi A.Ş. (Leader) and SK Engineering & Construction Co. Ltd Joint Venture |
Maschinendaten | 1x Mixschild: Durchmesser: 13.660 mm Ausbauverfahren: Tübbingausbau Antriebsleistung: 4.900 kW Drehmoment: 23.290 kNm |
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