Das Follo-Line-Projekt in Oslo ist für das tunnelreiche Norwegen eine Revolution. Bislang wurden die Tunnel meist traditionell mit Sprengstoff vorangetrieben. Beim größten Infrastrukturprojekt im Land der Fjorde sind Tunnelbohrmaschinen (TBM) im Einsatz. Vier große Doppelschild-TBM (Ø 9.900 mm) bohren jeweils rund 9,5 Kilometer Tunnel für die neue Eisenbahnverbindung von Oslo nach Ski.
In Norwegen wurden Tunnel bislang mit Sprengstoff vorangetrieben. Jetzt wissen wir, dass TBM eine Alternative sind, sogar in unserem extrem harten Fels.
Anne Kathrine Kalager, Projektmanagerin, staatliches Bahnunternehmen Norwegen Bane NOR
Bislang wurden Tunnel in Norwegen meist im konventionellen Sprengvortrieb (Drill & Blast) gebaut. Nur in einigen wenigen Wasserkraftprojekten kamen kleinere Tunnelbohrmaschinen zum Einsatz. Dem einheimischen Gestein rücke man am besten mit Sprengstoff zu Leibe, denn Tunnelbohrmaschinen würden sich daran die Zähne ausbeißen – das war lange die vorherrschende Meinung. Das Follo-Line-Projekt bringt Bewegung in diese Tradition.
Das einzigartige Großprojekt schafft mit maschineller Vortriebstechnik von Herrenknecht den längsten Eisenbahntunnel Norwegens und beseitigt einen Engpass im Verkehrsnetz der Zukunft. 20 Kilometer weit führt die neue Doppelröhre von der Gemeinde Ski im Süden der Metropole bis ins Zentrum von Oslo. Die Reisezeit auf der Schiene verkürzt sich mit dem Neubau auf der Strecke um rund die Hälfte.
Der neue, doppelröhrige Eisenbahntunnel verläuft von der Gemeinde Ski im Süden der Metropole bis ins Zentrum von Oslo.
Die Nutzung von Tunnelbohrmaschinen haben in diesem Projekt entscheidende Vorteile. Mit Drill & Blast hätte es insgesamt sieben teils schwer zugängliche Baustellen in der Metropolregion gebraucht, um das Projekt ebenso schnell wie mit dem Maschinenvortrieb durchzuführen. Der Sprengvortrieb hätte eine sehr große Belastung für den Verkehr und die vielen Anwohner der Baustellen bedeutet. Die TBM-Lösung kommt dagegen mit nur einem zentralen Angriffspunkt aus. Die Großbaustelle Åsland verbinden zwei 900 Meter lange Zugangstunnel mit zwei unterirdischen Kavernen. Von dort bohren sich je zwei Maschinen nach Süden und nach Norden, um die beiden Tunnelröhren zu schaffen. Die Kavernen dienen zunächst als Montageort für die vier Doppelschild-TBM. Anschließend werden sie als Logistikknoten für den Vortrieb genutzt.
Fakten zum Projekt
Hightech-Tunnelbohrmaschinen für einen schnellen Vortrieb
Doppelschild-TBM zählen zu den technisch anspruchsvollsten Tunnelvortriebsmaschinen. Sie vereinen die Funktionsprinzipien von Gripper und Einfachschild-TBM in einer Maschine. Die Verfahrenskombination ermöglicht in standfesten Geologien parallel zum Vortrieb den Einbau von Betonsegmenten (Tübbingen) und somit sehr hohe Vortriebsleistungen. Die leistungsstarke Technologie ist damit prädestiniert für das Auffahren langer Tunnel im Hartgestein. Für den norwegischen Gneis mit bis zu 300 MPa rüstet Herrenknecht die vier Großmaschinen mit 265 Tonnen schweren, besonders widerstandsfähigen Bohrköpfen und 13 Motoren pro Maschine mit je 475 PS aus.
Niemals zuvor habe ich es mit einem derart harten Gestein zu tun gehabt. Das packt man nur mit Teamwork.
Francesco Giampietro, TBM-Manager Ghella
Schneller als geplant
Im März 2016 und damit weniger als ein Jahr nach der Vertragsunterzeichnung stellt Herrenknecht dem Kunden die erste Maschine des Doppelschild-Quartetts zur Werksabnahme in Schwanau vor. Nur 19 Monate liegen zwischen dem Vertragsabschluss und dem Arbeitsbeginn der vierten und letzten Maschine in Oslo.
Die Montage der TBMs auf der Baustelle in Norwegen erfolgt in gigantischen Kavernen, die das ausführende Bauunternehmen im Berg ausgebrochen hatte. Der Startschuss für die erste Maschine fällt Anfang September 2016 im Beisein der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg und des Verkehrsministers Ketil Solvik-Olsen. Der vierte Doppelschild nimmt im November 2016 die Arbeit auf – vier Monate früher als offiziell geplant. Damit wurden innerhalb von nur 6 Monaten ab Anlieferung in Norwegen mit tatkräftiger Unterstützung des Herrenknecht-Teams alle vier Großdurchmesser-Maschinen auf der Baustelle in Vortriebsbereitschaft versetzt.
Regelmäßige Wartung und Instandsetzung der Maschinen und von deren Komponenten sind Grundvoraussetzung für konstant hohe Vortriebsleistungen im anspruchsvollen norwegischen Hartgestein.
Service auf ganzer Linie
Für einen reibungslosen Vortrieb sind im Schnitt täglich sieben Fachleute von Herrenknecht vor Ort, um den TBM-Manager und seine Leute bei anfallenden Wartungen und Reparaturen, aber auch vortriebsbegleitend zu unterstützen. In Schwanau kümmern sich zusätzlich bis zu 50 Sanierungsexperten um die professionelle Wiederaufbereitung der Schneidrollen. Mit der Güte der Abbauwerkzeuge steht und fällt der Vortrieb. Sie werden mit bis zu 32 Tonnen Druck auf 70 Ringbahnen gegen den extrem abrasiven Fels gedrückt. Während des gesamten Projekts müssen auf jeder Maschine rund 4.200 Rollenwechsel ausgeführt werden.
Für einen bedarfsgerechten Nachschub an Schneidrollen, Ersatzteilen und vor allem an Stahlbetonsegmenten für die Tunnelauskleidung sorgen sogenannte Multi-Service-Vehicles (MSV). Diese von der Herrenknecht-Tochtergesellschaft TMS konzipierten und gebauten Spezialfahrzeuge können mit vier aneinander gekoppelten Anhängern bis zu 125 Tonnen laden und so mit einer Fahrt Betonsegmente für 2 komplette Tübbingringe zur TBM ziehen. Die bereiften Fahrzeuge sind sehr flexibel auf der Baustelle einsetzbar. Steigungen und Gefälle bis zu 10% und engste Kurvenradien von 15 Metern stellen kein Problem dar – die Basis dafür, dass der kontinuierliche Vortrieb möglichst selten stoppt.
Die hervorragende Leistung der Vortriebsmannschaften in Zusammenarbeit mit Herrenknecht zeigt Wirkung. Gemeinsam werden Bestleistungen von über 158 Metern pro Woche und bis zu 36 Metern pro Tag erreicht.
Die ersten beiden Herrenknecht-Bohrer erreichen am 11. September 2018 nach rund 2 Jahren im norwegischen Hartgestein ihr Ziel. Per Livestream verfolgen rund 25.000 Zuschauer weltweit die eng aufeinanderfolgenden Durchbrüche der Schwestermaschinen „Queen Eufemia“ und „Queen Ellisiv“ in Oslo. Mit dem finalen Doppeldurchstich der beiden Herrenknecht-Tunnelbohrmaschinen „Anna“ und „Magda“ am 26. Februar 2019 im norwegischen Ski sind die beiden jeweils rund 20 Kilometer langen Tunnelröhren des Eisenbahnprojekts Follo Line komplett aufgefahren. Die Vortriebsarbeiten am derzeit größten Infrastrukturprojekt des Landes sind damit abgeschlossen.
Ab Ende 2021 sollen Schnellzüge mit bis zu 250 Stundenkilometern durch die zwei neuen Tunnelröhren fahren. Die Fahrzeit zwischen Oslo und der rund 20 Kilometer südlich gelegenen Gemeinde Ski wird sich von 22 auf 11 Minuten reduzieren. Für die norwegische Hauptstadt mit ihren 600.000 Einwohnern und die Region rund um Ski, die ein Bevölkerungswachstum von 30 Prozent bis 2025 erwartet, ist die Follo Line eine Lebensader der Zukunft.
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Vortriebslänge | 37.270 m |
Geologie | Festgestein: Gneis |
Bauherr | Bane NOR |
Auftraggeber | AG JV (Acciona-Ghella Joint Venture) |
Maschinendaten | 4x Doppelschild-TBM: Durchmesser: 9.900 mm Ausbauverfahren: Tübbingausbau Antriebsleistung: 4.550 kW Drehmoment: 11.115 kNm |
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