Weltrekord am Gotthard
Sedrun, Schweiz / Schwanau, Deutschland, 15. Oktober 2010. Mit dem neuen Gotthard-Basistunnel schafft die Schweiz ein monumentales, verkehrspolitisch bahnbrechendes Bauwerk. Der 2-mal 57 Kilometer lange Eisenbahntunnel durch das Gotthard-Massiv wird der längste der Welt sein. Er lässt Europa auf der Nord-Süd-Achse im Personenverkehr näher zusammenrücken und im Güterverkehr die Kapazität auf rund 50 Millionen Tonnen pro Jahr mehr als verdoppeln. Die Freude der Mineure und aller Projektbeteiligten war riesig, als am Freitag, dem 15. Oktober 2010, die Tunnelbohrmaschine „Sissi“ (Herrenknecht-Gripper-TBM S-210, Ø 9,43 m) in der Oströhre an der Losgrenze nahe Sedrun durchbrach.
2003 starteten die Vortriebe der vier Herrenknecht-Gripper-TBM. Seitdem haben sie rund 10,5 Millionen Kubikmeter Gestein durch die Mäuler ihrer Schneidräder geschaufelt. Insgesamt bohren und sichern sie mehr als 85 km (rund 75 %) der Hauptröhren. Die Vortriebsteams der Arge TAT, Tunnel AlpTransit – Ticino (Implenia Industrial Construction, Alpine Bau GmbH, CSC Impresa Costruzioni SA, Hochtief AG, Impregilo SpA) im Süden und der Arge AGN, Arbeitsgemeinschaft Gotthard-Basistunnel Nord (STRABAG AG Tunnelbau Schweiz (CH) / STRABAG AG (A) ) meisterten die Tunnelvortriebe und auch unvorhergesehene Schwierigkeiten mit Bravour. Gleich zu Beginn, nach nur 200 Metern, wurde der Vortrieb auf der Südseite ausgebremst. Die beiden in Bodio gestarteten TBM – von den Bohrmannschaften „Sissi“ (Herrenknecht S-210) in der Ost- und „Heidi“ (Herrenknecht S-211) in der Weströhre getauft – trafen auf geologische Störzonen mit brüchigem Gestein, sogenannte Kakirite. Für die auf hohe Gesteinshärten ausgelegten Gripper-TBM ist derartiges Gebirge zu weich und macht gute Vortriebsleistungen nahezu unmöglich. Jeder gewonnene Tunnelmeter muss aufwendig nachgesichert werden. Erst im August 2003 konnten die Maschinen diese Störzone nach rund 400 Metern wieder verlassen.
Auch die weitere Arbeit im Berg war gekennzeichnet durch ein Auf und Ab: beispielsweise folgten guten monatliche Vortriebsleistungen von 560 Metern nur 140 Meter Vortrieb im Monat. In der Weströhre drang im Juni 2005 (Nordseite) mit Wasser vermischte Feinmaterial in den Bohrkopf. Die TBM musste befreit werden und konnte erst im November den Vortrieb wieder aufnehmen. Von März bis Juli 2010 unterbrachen im Süden ein Gesteinsniederbruch und die darauf folgenden Stabilisierungsmaßnahmen den Vortrieb.
2006: Das Jahr der ersten Durchbrüche.
Im Norden konnten die Baustellenteams im Juni und Oktober 2006 das Vortriebsende auf dem Abschnitt Amsteg–Sedrun mit einer spektakulären Leistung feiern. Mit sechs beziehungsweise neun Monaten Vorsprung vor dem Bauzeitprogramm sprinteten sie in Richtung Losgrenze. Das Ende war dennoch unspektakulär: Just an der Losgrenze erwartete sie eine geologische Zäsur aus kakirisiertem Gestein. Deswegen wurden die TBM vorab in noch standfestem Gebirge demontiert. Mit der Stollenbahn brachten die Arbeiter die Maschinenteile dann aus dem Tunnel.
56 Meter in nur 24 Stunden.
Im Spätsommer 2009 wurde auf der Nordseite der Vortriebsrekord am Gotthard aufgestellt: In nur 24 Stunden fraß sich „Gabi 2“ satte 56 Meter durch den Berg, Weltrekord für eine Hartgestein-Tunnelbohrmaschine dieser Dimension. Am 16. Juni und am 16. September 2009 erreichten die Baustellenteams im Norden nach jeweils 18 Monaten Vortrieb das Ziel in Amsteg, 6 Monate früher als geplant. Der Durchschlag lieferte ein Paradebeispiel für die Präzision der Tunnelbauer und ihrer Maschinen: Beide TBM waren von der Sollachse horizontal nur um 4 Millimeter und vertikal um 8 Millimeter abgewichen – Millimeterarbeit im wahrsten Sinne des Wortes.
Mit dem Hauptdurchschlag in der Oströhre am 15. Oktober 2010 wird der „freie Blick aufs Mittelmeer“ Realität. Für das Frühjahr 2011 ist der Durchbruch in der Weströhre geplant. 2017 sollen die ersten Hochgeschwindigkeitszüge mit 200 bis 250 Stundenkilometern über die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) brausen. Im Personenverkehr wird sich die Fahrzeit von Zürich nach Mailand mit dem Zimmerberg-, dem Gotthard- und dem Ceneri-Basistunnel von 4 Stunden 10 Minuten auf 2 Stunden 40 Minuten verkürzen. Zeitgewinne rechnet sich die Schweizer Bahn besonders für den Gütertransport aus. Durch das Flachbahnkonzept in einer Höhe von maximal 550 Metern über Normalnull, also wirklich am Fuß des St. Gotthard, können sie wesentlich länger und doppelt so schwer sein: 4.000 Tonnen statt der heutigen 2.000 Tonnen.