Ein Riese taucht tief und bringt Europa und Asien zusammen
Istanbul / Schwanau, 28. August 2015. Im weltweiten Tunnelbau umrankt wenige Projekte das Superlativ "Jahrhundertbauwerk". Der mit 13,7 Metern Bohrdurchmesser erstellte Eurasia-Autotunnel in Istanbul, eine insgesamt 5,4 Kilometer lange Unterquerung des Bosporus, wird dieser Auszeichnung in mehrfacher Hinsicht gerecht. Sultan Abdülmecid I., Herrscher über das Osmanische Reich, forcierte bereits im 19. Jahrhundert als großer Visionär die Planung eines Tunnels unter der Meerenge. Dieser erwies sich mit den Mitteln der damaligen Zeit allerdings als unmöglich.
Als am Nachmittag des vergangenen Samstags nach 16 Monaten Vortriebszeit der Herrenknecht-Mixschild millimetergenau die Zielschachtwand des Eurasia-Tunnels auf der europäischen Landseite Istanbuls durchstach, bezeugte und bestaunte der türkische Premierminister Ahmet Davutoğlu das Finale einer historischen Bauleistung. Noch nie zuvor ist ein so großer, leistungsfähiger Tunnel unter derart vielschichtigen und extremen Bedingungen unterirdisch gebaut worden.
Die sorgfältig geplante und nun erfolgreich ausgeführte Ankunft des 120 Meter langen Tunnelbohrers ist für alle am Jahrhundertprojekt beteiligten "Baumeister" ein ingenieurtechnischer wie emotionaler Höhepunkt, insbesondere für das Joint Venture Yapı Merkezi und SK Engineering & Construction. Dr. Ersin Arıoğlu, Gründer von Yapı Merkezi und Vorstandsvorsitzender der Yapı Merkezi Holding, sowie Dr.-Ing. E.h. Martin Herrenknecht, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Herrenknecht AG, und ihre Ingenieure erlebten den finalen Projekt-Durchbruch als einen besonderen gemeinsamen Moment. Er wird Signalwirkung im weltweiten Tunnelbau haben. Denn damit gehen neue Machbarkeits-Standards beim Herstellen von Tunneln unter extremen Baugrundbedingungen einher. „Ich glaube, das heute abgeschlossene Pionierprojekt wird auch andere Tunnelbauer ermutigen, immer tiefer, weiter und größer zu denken", sagte Dr. Ersin Arıoğlu.
„Die besondere Herausforderung bestand darin, ein Schneidrad zu entwickeln, das den Wechsel der Abbauwerkzeuge auch bei dem enormen Außendruck sicher von innen ermöglicht", erklärt Werner Burger, Konstruktionsleiter bei Herrenknecht. Ergebnis: ein durch schmale Arbeitskammern von der Rückseite begehbares Schneidrad. So können die Werkzeuge durch spezielle Schleusensysteme vom Personal unter atmosphärischen Druckverhältnissen sicher ausgetauscht werden. Darüber hinaus war die TBM mit Spezial-Equipment zum Einsatz von Sättigungstauchern ausgestattet. „Alle Einrichtungen haben sich im Verlauf des Vortriebs bei Wartungs- und Reparaturarbeiten bewährt", so Burger.
Dank der Pionier-Technologie und der idealen Zusammenarbeit aller Projektpartner erreichte die TBM unter dem Bosporus hervorragende Bestleistungen von bis zu 92 Metern pro Woche. „Modernste Technik ist eines von vielen Puzzleteilen. Entscheidender war jedoch unser unerschütterliche Wille und gegenseitiges Vertrauen ineinander. Nur dadurch haben wir gemeinsam den Durchbruch bei diesem außergewöhnlichen Projekt geschafft", betonte Martin Herrenknecht. „Heute hier zu stehen ist für mich wie ein Traum, der wahr wird", ergänzte Başar Arıoğlu, Vorstandsvorsitzender von Yapı Merkezi, bei der Durchstichs-Zeremonie stolz.
Ab Ende 2016 sollen im Eurasia Tunnel täglich rund 100.000 Fahrzeuge auf zwei übereinanderliegenden Fahrbahnen zwischen den Kontinenten wechseln. Das neue Tunnelbauwerk ist die erste direkte Verbindung zwischen dem historischen Golden Horn auf der europäischen Seite und dem Hafengebiet auf der asiatischen Seite. Es wird den chronisch verstopften Verkehr in Istanbul entscheidend entlasten und die Fahrtzeit von heute 100 auf nur noch 15 Minuten reduzieren.