Zwei Herrenknecht-Tunnelbohrmaschinen aus Schwanau sicherten
sich in der kanadischen Region Vancouver einen Ehrenplatz in den
Alltagsgesprächen. Ergebnis einer engagierten Kampagne der
Provinzregierung von British Columbia, die Bewohner mit dem
Ausbauprojekt des Nahverkehrssystems vertraut macht.
Lesezeit: 10 Minuten
„An alle jungen Künstlerinnen und Künstler! Zeig uns, wohin DICH das Broadway Subway Project einmal bringen wird! Alle Kinder bis zwölf Jahre können ein Bild von dem Ort zeichnen oder malen, an den sie gerne mit der erweiterten Millennium Line fahren würden.“
So lautete der Aufruf, den die Provinzregierung von British Columbia im Westen Kanadas als Teil ihrer Kampagne für das große Ausbauprojekt des Nahverkehrssystems SkyTrain in Vancouver und benachbarten Gemeinden startete. Die Kampagne soll zeigen, wie das U-Bahn-Projekt das Leben Tausender Menschen aller Altersgruppen über Generationen hinweg verändern wird. Die Kunstwerke der Kinder werden auf einem temporären Wandbild am Bauzaun der Baustelle der Broadway-City Hall Station zu sehen sein.
SkyTrain wird von der regionalen Verkehrsbehörde TransLink betrieben. Das Ausbauprojekt Broadway Subway Project wird schon den künftigen, jetzt noch ganz jungen Fahrgästen vorgestellt. Die Provinz stellt einen großen Teil ihrer umfangreichen Informationskampagne online bereit. Die ansprechenden interaktiven Inhalte richten sich an Kinder und zeigen in farbenfrohen Cartoons den Fortschritt des Tunnelvortriebs. Er erweitert die bestehende 79,6 Kilometer lange SkyTrain-Normalspurstrecke um 5,7 Kilometer.
Elsie und Phyllis: TBM mit Starpotenzial
Auf der Website des Broadway Subway Projects finden sich auch Videos und Grafiken, die den Projektfortschritt vom Aushub der Stationen über die Verlegung der Gleistragplatten bis hin zum Tunnelvortrieb und den zeitlichen Abläufen zeigen.
Die Stars der Show sind die beiden Herrenknecht-Tunnelbohrmaschinen Elsie und Phyllis, die nicht nur online, sondern auch in lokalen Zeitungen, im Radio und vor allem in Fernsehberichten lokale Berühmtheiten sind. „Mein Dreijähriger ist ganz besessen von den Tunnelbohrmaschinen“, gibt eine junge Mutter unumwunden zu.
Schulklassen werden befähigt die Lernplattform des Broadway Subway Projects für den Unterricht in MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu nutzen. Zuhause können besonders tunnelbaubegeisterte Schülerinnen und Schüler, die sich Sprüche wie „Aren’t those tunnelling lessons boring?“ („Ist dieser Tunnelbauunterricht denn nicht langweilig?“) anhören müssen, mit beeindruckenden Statistiken über die beiden Maschinen vom Typ Erddruckschild kontern.
5 Blauwale und 333 Elefanten
Die beiden TBM, die laut Website so lang wie fünf Blauwale (150 Meter) und so schwer wie 333 Elefanten (1 Million Kilogramm) sind, werden im täglichen Leben unter ihren Spitznamen Elsie und Phyllis geführt. Mit diesen Namen werden zwei prominente kanadische Pionierinnen der Vergangenheit geehrt: Elizabeth MacGill (Elsie), die weltweit erste Luftfahrtingenieurin und Flugzeugkonstrukteurin, die als „Queen of the Hurricanes“ bekannt wurde, sowie Phyllis Munday, die in Sri Lanka geboren wurde, als Teenager nach Kanada zog und Krankenschwester, Bergsteigerin und Gründerin der Pfadfinderinnen in British Columbia und der St. John Ambulance Brigade in North Vancouver wurde.
Die Vortriebsleistungen der beiden Herrenknecht-Maschinen werden aufmerksam verfolgt: Über ihre Bewegungen und Erfolge werden regelmäßig Online-Meldungen gepostet, beispielsweise das anschauliche einminütige Video „Die Reise der Tunnelbohrmaschinen“, das sie von Deutschland aus über den Atlantik und auf den nordamerikanischen Kontinent begleitet. Jedes Mal, wenn eine Tunnelbohrmaschine eine neue Station erreicht, wird der „Breakthrough“ in den Nachrichten verkündet.
„Die Unterstützung durch die
Öffentlichkeit ist sehr ermutigend.
Die Menschen sehen bewusst
die Vorteile für kommende Generationen.“
Steffen Dubé, President and General Manager, Herrenknecht USA and Canada
Fortschritte des Projekts kommen in den Nachrichten
Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur von British Columbia lässt verlauten: „Dies ist ein spannendes Projekt für die Region und wir machen gute Fortschritte. Die EPB-Schilde wurden nach projektspezifischen Vorgaben konstruiert und auf die Baugrundbedingungen zwischen Great Northern Way und Arbutus abgestimmt. Die TBM fahren vorwiegend durch Sandstein, typischerweise in einer Tiefe zwischen 15 und 20 Metern.“
Jeff Spruston ist der Projektvertreter der von der spanischen Acciona und der italienischen Ghella gegründeten Broadway Subway Project Corporation, die die Herrenknecht-EPB-Schilde einsetzt. „Seit dem Start der ersten Tunnelbohrmaschine im Herbst 2022 haben wir gute Fortschritte gemacht“, so Spruston im Frühsommer 2023. „Beide Tunnelbohrmaschinen haben jetzt die Station Broadway-City Hall erreicht. Derzeit werden sie planmäßig gewartet, bevor sie zu den letzten drei Stationen weiterfahren, deren allerletzte die Arbutus Station ist.“
Die Stadt begrüßt ausdrücklich die Tausende Arbeitsplätze, die durch das Projekt geschaffen wurden. Doch der Bau von sechs neuen U-Bahn-Stationen – zusätzlich zu den bereits bestehenden 53 – führte auch zu Beschwerden von Geschäftsleuten, weil ihre Kundschaft dadurch behindert würde. Das betrifft insbesondere den Broadway Corridor, der neben dem größeren Geschäftsviertel auf der westlichen Halbinsel der Stadt als Vancouvers „zweites Downtown“ bekannt ist. Doch Frances Bula, eine freiberufliche Journalistin, die über Vancouvers Stadtpolitik berichtet, stellt fest: „Es gab insgesamt geringeren Widerstand als bei früheren Projekten.“
Reibungsloser Tunnelvortrieb
Das liegt an einer Reihe von Faktoren, unter anderem dem reibungslosen Verlauf der Vortriebsarbeiten und der guten Koordination. Die einzige Verzögerung war einem Arbeitskampf der Betonbauer geschuldet und keineswegs einer schlechten Planung oder Ausführung der eigentlichen Bauarbeiten. Die geplante Eröffnung wurde nur um ein paar Wochen verschoben, von Ende 2025 auf Anfang 2026.
„Bei einem so ehrgeizigen Projekt gibt es unterwegs immer ein paar kleine Stolpersteine. Im Fall des U-Bahn-Tunnelbaus 20 Meter unter der Straße. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern ist vorbildlich“, lobt Steffen Dubé, Präsident und General Manager von Herrenknecht USA und Canada. „Und die Unterstützung durch die Öffentlichkeit ist sehr ermutigend. Die Menschen sehen bewusst die Vorteile für kommende Generationen.“
Von vielen Umweltschützern begrüßt
Zu diesen Vorteilen gehören nicht nur gesteigerte Fahrgastzahlen von derzeit geschätzten 120 Millionen Fahrgästen im Jahr 2023; das Projekt erschließt auch Teile von Vancouver für Gewerbe- und Wohngebiete, um den neuen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen in einer der am schnellsten wachsenden Städte Nordamerikas gerecht zu werden. Vancouvers Wachstum ist zu großen Teil auf Einwanderung zurückzuführen.
Das Broadway Subway Project begrüßen viele Umweltschützer in Kanada, wo die Regierung 2022 das nationale Ziel festlegte, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent unter das Referenzniveau von 2005, mit 741 Megatonnen CO2-Äquivalent, und bis 2050 auf null zu senken.
„Dieser entscheidende Meilenstein bringt uns der Eröffnung einer wichtigen emissionsfreien Schnellbahnverbindung einen Schritt näher, die täglich etwa 150.000 Menschen befördern, Staus reduzieren und Treibhausgasemissionen verringern wird“, betont Kevin Quinn, Chief Executive Officer von TransLink.
1 Million
mehr Menschen und
600,000
neue Arbeitsplätze werden für Vancover
im Jahr 2050 prognostiziert
Eine einzigartige Stadt
Die geografische Lage Vancouvers ist einzigartig: Die Stadt liegt in einer flachen, malerisch anmutenden Senke, im Süden die Grenze zu den Vereinigten Staaten, im Westen der Pazifik, im Norden von Bergen, im Osten von wertvollem Agrarland umschlossen. Doch wegen ihrer natürlichen Barrieren hat die Stadt keinen Platz, um sich auszudehnen. Und die Metro Vancouver Region wächst. Die Bevölkerungszahl ist von 1,8 Millionen 1996 auf heute 2,8 Millionen angestiegen. Es wird erwartet, dass diese Zahl bis 2030 auf 3,2 Millionen, bis 2040 auf 3,5 Millionen und bis 2050 auf 3,8 Millionen steigen wird. Die Stadt wird nicht nur eine Million Menschen mehr beherbergen, sondern auch 600.000 neue Arbeitsplätze schaffen müssen.
All diese Menschen und all diese Arbeitsplätze werden im autofreundlichen Vancouver zwangsläufig zu mehr Staus führen. Viele fahren Auto, solange ihr einziges Nahverkehrsmittel ein mehr schlecht als recht funktionierender Linienbus ist. Die Stadt leidet unter dem vierthöchsten Verkehrsaufkommen in Nordamerika, nach Mexiko-Stadt, New York und Toronto; Studien belegen, dass man für eine Strecke von nur 10 Kilometern üblicherweise 22 Minuten braucht.
Zeitersparnis: eine halbe Stunde täglich!
SkyTrain wurde 1985 als das längste vollautomatische fahrerlose Bahnsystem der Welt eröffnet und ist noch immer das längste in Nord- und Südamerika oder Europa. Ein Ausbau der Millennium Line war schon lange geplant, der Bedarf wurde immer deutlicher und dringlicher. Bislang bedienen zwei Buslinien den Broadway Corridor: die lokale Linie 9 und die Expresslinie 99, die ihren Namen nach weitläufiger Meinung nicht verdient. Mit knapp über 30.000 Fahrgästen pro Tag ist sie die meistbefahrene Buslinie in den Vereinigten Staaten oder Kanada.
Für Pendler, die von den Wohnvierteln und Vororten im Osten Vancouvers in das Geschäftsviertel auf der westlichen Halbinsel fahren, bringt der Ausbau der Broadway-U-Bahn voraussichtlich eine Zeitersparnis von 30 Minuten pro Tag – ein bemerkenswerter Gewinn an kostbarer Zeit!
Die Art wie Menschen reisen und leben transformieren
Rob Fleming, Minister für Verkehr und Infrastruktur von British Columbia, erklärt, der Ausbau der Broadway-U-Bahn werde erschwingliche und effiziente Verkehrsverbindungen schaffen und neue Möglichkeiten für bezahlbaren Wohnraum, kommunale Einrichtungen und kommerzielle Dienstleistungen bieten. „Das ist ein aufregender Meilenstein in einem wichtigen Infrastrukturprojekt, das die Mobilität der Menschen in und um den Broadway Corridor verändern wird“, so Fleming.
Viele der künftigen Pendlerinnen und Pendler sind Teil der Einwanderungswelle, die Vancouver zu einer so lebendigen und wachsenden Stadt macht. „Einwanderung ist der größte Motor des Bevölkerungswachstums“, erklärt ein hochrangiger Beamter der kanadischen Einwanderungsbehörde. Er weist darauf hin, dass Vancouver aufgrund seiner Lage am Pazifik besonders attraktiv für asiatische Einwanderinnen und Einwanderer ist, die von der kanadischen Politik profitieren: Alle sind willkommen, von einkommensstarken Unternehmern, die in Technologie-Start-ups investieren, bis hin zu Arbeitskräften, die tageweise Einstiegsjobs annehmen.
„Dieser entscheidende Meilenstein bringt
uns der Eröffnung einer wichtigen
emissionsfreien Schnellbahnverbindung
einen Schritt näher, die täglich etwa
150.000 Menschen befördern, Staus
reduzieren und Treibhausgasemissionen
verringern wird.“
Kevin Quinn, Chief Executive Officer, TransLink
Bebauungsdichte und Effizienz
Paul Richter, ein führender Immobilienanalyst in Vancouver, ist davon überzeugt, dass der Ausbau der Broadway-U-Bahn die Entwicklung von Wohn- und Gewerbegebieten mit hoher Bebauungsdichte vorantreibt. Ein solcher Ausbau sei für die weltweit größten Städte im 21. Jahrhundert ein Schlüssel zum Erfolg. Richter verweist darauf, dass die Leerstandsquote in Vancouver unter einem Prozent liegt.
„Dieses Projekt wird ein erhebliches Entwicklungspotenzial freisetzen“, bekräftigt er. „Letztendlich dürfte der Plan viele neue Miet- und Eigentumswohnungen, Büro- und Einzelhandelsflächen auf den unteren Stockwerkebenen und der Straßenebene sowie einen verbesserten Zugang für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Metropolregion mit sich bringen und sie gut an den öffentlichen Nahverkehr anbinden.“
Er fügt hinzu, Vancouvers „Krankenhauszone“ entlang des Broadway Corridors, zu der das Vancouver General und Dutzende Arztpraxen, Labore und Kliniken gehören, werde leichter expandieren – attraktiv für das Personal, von Ärzten bis hin zu Wartungsdienstleistern. So werde auch für die Gesundheit des tunnelbaubegeisterten Dreijährigen gesorgt, wenn er einmal erwachsen sei.
Zukunftsvisionen
Laut Richter wird ein künftiger Ausbau der U-Bahn sogar noch mehr Veränderungen mit sich bringen, auch für die renommierte University of British Columbia an der Pazifikküste. Ein Beispiel dafür ist Jericho Lands, ein First-Nation-Entwicklungsprojekt. Auf ihrem 90 Hektar großen Gebiet sollen Zehntausende Miet- und Eigentumswohnungen entstehen, darunter auch bezahlbare Wohnungen für gering qualifizierte Arbeitskräfte etwa an der Universität oder im Krankenhausbereich.
In dreißig bis vierzig Jahren – oder in ein bis zwei Generationen – wird all das für den dreijährigen Jungen, der heute so für Elsie und Phyllis schwärmt, ganz selbstverständlich sein. Stellen Sie ihn sich vor, wie er dann ein weitgehend umweltverträgliches Leben führt und einen nur geringen CO2-Fußabdruck verursacht, während er mit dem immer noch gut funktionierenden SkyTrain zur Schule, zur Uni, zur Arbeit oder zum Einkaufen in die Stadt fährt. Und wie er mit seinem Sohn oder seiner Tochter begeistert über die Fortschritte der nächsten Generation von Tunnelbohrmaschinen diskutiert, die in Vancouver neue Tunnel für U-Bahn-Linien bohren.
Timothy Harper
ist Journalist und Buchautor. Harper, mehrfach ausgezeichneter Journalist, berichtete bereits über den Bau des Eurotunnels sowie des 63rd Street Tunnels in New York City. Harper schreibt für führende US-Medien.
Projektdaten | Maschinendaten | |
---|---|---|
Bauherr: Province of British Columbia | Gesamte Vortriebslänge: 2× 3.500 m | Maschinendaten: 2× EPB-Schild („Elsie“ und „Phyllis“) |
Auftraggeber: Broadway Subway Project Corporation | Geologie: 90 % Festgestein -Sandstein, Tongestein, Vulkangestein, Konglomerat; 10 % Gletscherdrift aus Kies, Sand, Schluff und tonhaltigen Böden; Geschiebemergel aus gut abgestuften Sandablagerungen |
Durchmesser: 5.960 mm |
Anwendung: U-Bahn | Antriebsleistung Bohrkopf: 1.400 kW |
Bildquelle Bühne: © B.C. Ministry of Transportation and Infrastructure