Singapurs Wirtschaft boomt – doch der Mangel an Ressourcen stellt den Inselstaat vor Herausforderungen. Ein neues Abwassersystem und mehrere Wasseraufbereitungsanlagen bringen zahlreiche Lösungen mit sich. Eines von vielen Beispielen, die zeigen: Zukunft entscheidet sich im Untergrund.
Die Zukunft Singapurs beginnt in Tuas, auf dem südwestlichen Zipfel der Insel. Zwischen Fabrikhallen, Raffinerien und Lagerhäusern setzt Dirk Schrader seinen Bauhelm auf und begrüßt eine Gruppe von Ingenieuren und Technikern in grünen Overalls. Schrader, Herrenknechts General Manager Asia Pacific, steht mit seinen Männern am Rand eines 60 Meter tiefen Schachts. An dessen Grund funkelt ein blaues Schneidrad.
Ende 2019 begann diese Tunnelbohrmaschine, sich Meter um Meter unter die Stadt zu fräsen. „Unsere Kunden haben einen ehrgeizigen Zeitplan, deshalb müssen wir absolut verlässlich zuarbeiten“, sagt Schrader. Heute will er mit den Kollegen die nächsten Schritte besprechen.
68 Hektar Baugrund auf abgelegenem Terrain: Ausgerechnet hier wird bald Stadtgeschichte geschrieben. Die „Tuas Water Reclamation Plant“, eine gewaltige Wiederaufbereitungsanlage für Abwasser, soll schon in wenigen Jahren in Betrieb gehen. Sie wird täglich bis zu 800.000 Kubikmeter Abwasser aufbereiten. Im Inselstaat ist Trinkwasser chronisch knapp – die Anlage trägt zur Lösung eines drängenden Problems bei.
Sie gehört zu einem flächendeckenden System, das derzeit unter Singapur verlegt wird. Das „Deep Tunnel Sewerage System“, kurz: DTSS, ist eine Art unterirdischer Superhighway für Abwasser: Mehr als 200 Kilometer Röhren mit bis zu sechs Metern Durchmesser werden bis zu 60 Meter tief unter der Stadt verlegt. Die ersten 100 Kilometer Kanalisation sowie die Changi Wasseraufbereitungsanlage im Osten wurden bereits 2008 fertiggestellt.
Auf diesen ersten Bauabschnitt, DTSS Phase 1, folgen im Süden und Westen weitere rund 100 Kilometer sowie das Klärwerk in Tuas. DTSS Phase 2 soll 2025 fertiggestellt sein. Singapur investiert 6,6 Millionen Singapur Dollar – ein entscheidender Schritt in Richtung Versorgungssicherheit.
Lai Lynn Woo, Chefingenieurin von Singapurs Wasserbehörde, bewegt das Megaprojekt seit mehr als 20 Jahren. „Es wird unsere Stadt verändern und so viel Gutes bewirken“, sagt die Geotechnikerin. Für DTSS Phase 1 übernahm sie die Leitung. Besonders revolutionär seien die großen Wasseraufbereitungsanlagen: „In Zukunft werden wir bis zu 85 Prozent unseres Abwassers wiederverwerten – für die Industrie, aber auch für Haushalte.“
Weil das System mit natürlichem Gefälle arbeitet und Abwasser zu drei zentralen Aufbereitungsanlagen transportiert, können rund 130 Pumpstationen in der Stadt abgebaut werden. „Wir gewinnen etwa 150 Hektar Land, die wir sinnvoll nutzen können“, erklärt Woo. Eine neue Müllverwertungsanlage wird Abfall aus der Stadt und dem Abwasser in Energie umwandeln. Allein dieser Strom wird ab 2027 den Bedarf von 300.000 Vierzimmerwohnungen decken.
„Städte auf der ganzen Welt verfolgen, was wir hier machen“
Lai Lynn Woo, Chefingenieurin von Singapurs Wasserbehörde
Für Singapur sind die DTSS-Projekte Meilensteine auf dem Weg vom Entwicklungsland zum urbanen Zukunftslabor. Nach der Unabhängigkeit 1965 war der Stadtstaat mit Problemen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Ressourcenmangel konfrontiert. Mit der Entwicklung zum Drehkreuz im globalen Handel schaffte er dann den Sprung zur Industrienation – binnen einer Generation.
Rasantes Wachstum bei gleichzeitigem Platzmangel – das ist eine Herausforderung, die im Untergrund entschieden wird. 1987 nahm die U-Bahn den Betrieb auf, heute misst das Streckennetz von Singapur knapp 200 Kilometer. Es zählt zu den modernsten und leistungsfähigsten der Welt. Mit den Jahren wanderte immer mehr Infrastruktur unter die Erde: Straßen und Fußgängerwege, ein Röhrensystem zur ebenfalls unterirdischen Müllentsorgung, bis hin zu Öl- und Munitionslagern.
Im März 2019 stellte die Stadtentwicklungsbehörde den „Underground Master Plan“ vor: Umfangreiche Studien und 3D-Pläne für eine möglichst effiziente Nutzung unterirdischer Potenziale. Eine Ausstellung der Behörde offenbart die Zukunftsvision für die nächsten 30 Jahre: ganze Fußgängerzonen und Einkaufszentren, Straßen und Metrostationen, Abwasserkanäle, Versorgungsleitungen und Lagerstätten wachsen über viele Stockwerke nach unten.
Dabei hält die hochkomplexe Geologie Singapurs die Baufirmen in Atem: Unter Tuas etwa liegt die „Jurong-Formation“. Sie besteht aus Dolomit, Kalkstein, Schlamm, Sand, Schiefer und Konglomeraten, die infolge tektonischer Plattenbewegungen stark gefaltet sind. Entlang einer Tunneltrasse und sogar im Querschnitt eines Tunnels wechseln sich oft unterschiedlichste Bodentypen ab.
Für den Bauabschnitt T-08 in Tuas ist deshalb ein hartgesottener Vortriebsprofi verantwortlich, der sich mit anspruchsvollen Untergrundmissionen auskennt: Der Engländer David Helliwell hat als Ingenieur lange im Bergbau gearbeitet und später in Ägypten und in Asien Tunnelprojekte beaufsichtigt. Für das Firmenkonsortium von Penta Ocean und Koh Brothers übernahm er die Projektleitung in Singapur.
„Hier zu arbeiten ist immer eine echte Herausforderung“, sagt Helliwell. Bereits vorhandene Metrotunnel, Abwasserleitungen oder Kabelröhren erschweren die Planungen zusätzlich. „Doch dank neuester Tunnelbohrtechnologie werden wir unsere Zeitpläne auch diesmal halten können.“
Zwar verlaufen die Hauptröhren von DTSS so tief unten, dass der Trassenverlauf unkritisch ist – doch bevor gebohrt werden kann, müssen die 19 beteiligten Herrenknecht-TBM durch tiefe Schächte in den Boden gebracht werden. Hinzu kommen 18 Wartungsschächte, die über das Stadtgebiet verteilt sind.
„Das größte Problem hier ist der hohe Wasserdruck“, sagt Wang Yang, Projektleiter für den Bauabschnitt T-11 des chinesischen Unternehmens Shanghai Tunnel (STEC). „Die Schächte müssen absolut dicht sein und das Grundwasser der Umgebung darf sich nicht absenken.“ Um das Abteufen sicher und in der vorgesehenen Zeit zu bewältigen, setzt STEC auf eine vertikale Schachtabsenkanlage (VSM) von Herrenknecht.
„Dies ist das erste Mal, dass die VSM-Technologie im Asia-Pacific-Raum zum Einsatz kommt“, sagt Yang. „Bei einem solchen Projekt gibt das Knowhow den Ausschlag. Und mit Herrenknecht sind wir garantiert auf der sicheren Seite.“
DTSS umfasst 200 km neue Abwasserkanäle, bis zu 60 m tief unter der Erde. In Phase 1 wurden 1999 bis 2008 im östlichen Teil von Singapur 48 km Haupttunnel und 60 km Zuleitungen erstellt – mit dabei große und kleine Herrenknecht-TBM. In der zweiten Projektphase setzen die bauausführenden Unternehmen aller fünf Baulose auf Herrenknecht-Technik.
Los T-11
Dieser Abschnitt stellt den Start des neuen Abwassersystems dar. Er ist deshalb der am flachsten unter der Oberfläche gelegene. Insgesamt kommen hier 5 TBM zum Einsatz. Für diesen Abschnitt hat Herrenknecht die einzige Schachtabsenkanlage,die im Rahmen des Projekts eingesetzt wird, geliefert.
Wir stehen bereit!
Für weitergehende Informationen oder Projektanfragen steht Ihnen unser Experte Anja Heckendorf, Head of Corporate Communications, gerne zur Verfügung.