Extreme Regenfälle, überflutete Straßen, zerstörte Häuser und Infrastrukturen, Menschen, die inmitten von Fluten um ihr Leben kämpfen. 2021 war auch geprägt von derart tragischen Ereignissen. Es ist an der Zeit, sich der Frage zu stellen, wie es zu Flutkatastrophen kommt und was dagegen getan werden kann
Städte haben von jeher eine tiefgehende und dauerhafte Verbindung zum Wasser. Die überwältigende Mehrheit der städtischen Gebiete wurde weltweit in der Nähe von Küsten oder Flüssen angelegt. Dafür gibt es gute Gründe. Saubere Flüsse boten den ersten Siedlern ein nie versiegendes Angebot an Trinkwasser und Zugang zu Nahrungsquellen wie Fischen und Tieren, die sich von Fischen ernähren. Mit dem Aufkommen der Landwirtschaft wurde der Zugang zu einer zuverlässigen Wasserversorgung noch wichtiger. Häfen und Docks wurden ein Motor des internationalen Handels, der Städte wie Schanghai, Rotterdam oder Los Angeles zu den globalen Drehscheiben machte, die wir heute kennen. Doch je stärker sich die Auswirkungen des Klimawandels bemerkbar machen, umso schwieriger wird das Verhältnis zwischen den Städten und ihren Lebensadern.
Wasser – Fluch und Segen
Der stetige Anstieg des Meeresspiegels ist besonders für niedrig gelegene Küstenstädte problematisch. Er hat vielerorts bereits zu Investitionen in technische Schutzmaßnahmen wie Deiche, Hochstraßen, Schutzmauern oder künstliche Riffe geführt. Bauliche Maßnahmen gelten häufig als das Nonplusultra im Hochwasserschutz. So waren 2017 bereits 14 Prozent der US-amerikanischen Küste auf diese Weise befestigt – Tendenz steigend. Dabei sind Schutzdeiche und -mauern häufig eher ein stumpfes Instrument als eine fein abgestimmte Lösung. Zum einen sind sie teuer und erfordern eine laufende, gewissenhafte Wartung. Zum anderen sind ihre ökologischen Auswirkungen immens − zahllose Küstenhabitate wurden zerstört oder verdrängt, um Platz für Schutzdeiche zu schaffen. Außerdem bieten sie keine dauerhafte Lösung. In Städten wie Miami, wo der Meeresspiegel besonders schnell ansteigt, werden die Uferanrainer aufgefordert, sich regelmäßig am teuren Ausbau bestehender Deiche zu beteiligen. Und dies ist nur ein Element ambitionierter Bemühungen, Überflutungen oder zumindest deren Auswirkungen auf die Städte in ganz Florida zu begrenzen.
Überschwemmungen drohen natürlich nicht nur vom Meer. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel treten in vielen Teilen der Welt Starkregenereignisse häufiger auf, die dicht besiedelte Städte und Metropolen sowie ihre Flüsse, Kanäle und Seen in kürzester Zeit mit enormen Wassermassen fluten. Die Auswirkungen dieser sich verändernden Wettermuster sind bereits heute zu spüren. Nach bisher unveröffentlichten Forschungsarbeiten des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung treten sogenannte 50-Jahres-Hochwasser entlang der Donau heute vermutlich mit doppelter Häufigkeit auf. Gemäß einer Veröffentlichung in Environmental Research Letters aus dem Jahr 2018 führen selbst eher geringe Klimaveränderungen dazu, dass die 10-Jahres-Hochwassermarke der Flüsse in einer Vielzahl europäischer Städte (264 von 571 Städten in der Urban Audit-Datenbank) deutlich ansteigen wird.
„Es gibt unterschiedliche Arten von Hochwasser und alle bringen ihre eigenen Herausforderungen mit sich“, sagt Professorin Hannah Cloke, Expertin für physische Geografie, Naturkatastrophenforschung und Hydrologie an der britischen Universität Reading. „Unsere Klimamodelle zeigen, dass viele Hochwasser mit dem Klimawandel schlimmer werden. Gleichzeitig wissen wir, dass unsere Städte schon auf heutige Hochwasser nicht angemessen vorbereitet sind, von zukünftigen Ereignissen ganz zu schweigen.“
Professorin Cloke ist eine der Initiatorinnen des European Flood Awareness System (EFAS), eines zentralen Elements des bestehenden Katastrophenschutzes. Seit 2012 bündelt EFAS Wettervorhersagen, hydrologische Daten und entsprechende Rechnerkapazitäten und erstellt daraus für ganz Europa detaillierte Karten zur Wahrscheinlichkeit von Hochwasserereignissen.
In einem kürzlich in The Conversation erschienenen Artikel beschreibt Cloke, wie mithilfe des Systems die Hochwasser, die Teile von Europa in diesem Sommer [2021, Anm. d. Red.] heimgesucht haben, erfolgreich vorhergesagt werden konnten. „Die Vorhersagen für das Einzugsgebiet des Rheins in Deutschland und der Schweiz zeigten am Freitag, dem 9. und Samstag, dem 10. Juli eine hohe Hochwasserwahrscheinlichkeit ab dem darauffolgenden Dienstag, dem 13. Juli. Später wurde vorausgesagt, dass auch die Maas in Belgien betroffen sein würde. Die Vorhersagen in den folgenden Tagen ließen ebenfalls kaum Zweifel daran, dass mit schweren Überschwemmungen zu rechnen war.“
Städte stehen vor der grundlegenden Herausforderung, ihre Beziehung zum Wasser neu definieren zu müssen.
Am Samstag, dem 10. Juli schickte EFAS seine erste Meldung an die jeweiligen nationalen Behörden. Je mehr Daten hereinkamen, umso besorgniserregender wurden die Vorhersagen. Unabhängig davon sagte der Deutsche Wetterdienst voraus, dass in einigen Regionen binnen weniger als 48 Stunden mit über 200 Millimeter Niederschlag zu rechnen sei. In der Folge wurden die Meldungen zu Warnmeldungen hochgestuft, um sicherzustellen, dass die Behörden die Bevölkerung vor Eintritt der unvermeidbaren Hochwasser in Sicherheit bringen konnten. Trotz dieser Warnungen sollten in diesen Tagen Hunderte von Menschen ihr Leben verlieren. (s. „Erforschen, was wir nicht wissen.“).
275 Mio. MENSCHEN WELTWEIT
sind von Überflutungen in ihren Städten bedroht, wenn die weltweite Temperatur um durchschnittlich 3 °C ansteigt und der Meeresspiegel entsprechend steigt.
Hochwasserschutz ist komplex
Zahlreiche Flüsse traten über die Ufer, Wassermassen brachten Gebäude und Brücken zum Einsturz, dennoch hat bei diesen tragischen Ereignissen nach Ansicht von Cloke nicht die Infrastruktur versagt, sondern der Katastrophenschutz.
„Im Hochwasserschutz haben wir es mit langen, komplexen Entscheidungsketten zu tun, die nicht überall in gleicher Weise funktionieren. In manchen Fällen liegt die Verantwortung beim Bürgermeister vor Ort, in anderen Fällen werden Entscheidungen auf nationaler Ebene getroffen. Viele Stellen haben bei den Ereignissen im Juli rechtzeitig reagiert. Sie haben Menschen evakuiert, einen temporären Hochwasserschutz errichtet und Fahrzeuge in höher gelegene Bereiche gebracht. Allerdings war das nicht überall der Fall.“
Für Wissenschaftler und Experten im Bereich der Hochwasservorhersage können derartige politische Hindernisse frustrierend sein, „besonders wenn man belastbare wissenschaftliche Ergebnisse mit wichtigen Informationen für die Menschen vor Ort hat und dann mit ansehen muss, mit welchen Hindernissen manche zu kämpfen haben, wie mangelnde Ressourcen, mangelnde Führung oder eine mangelnde Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das sind jedoch unerlässliche Faktoren, wenn letztlich angemessen gehandelt werden soll. Bei den Hochwassern 2021 hätten nicht so viele Menschen sterben müssen”, so Cloke.
Nach Ansicht von Cecilia Tortajada, Professorin für Environmental Innovation an der Universität Glasgow und Adjunct Senior Research Fellow am Institute of Water Policy von Singapur, sind Mängel im Katastrophenschutz Ausdruck eines größeren und besorgniserregenden Trends: „Die Überflutung von Städten stand bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow – COP26 – gar nicht auf der Tagesordnung. Bei der größten Veranstaltung des Jahres 2021 zum Thema Klimawandel wurde das Thema Wasser überhaupt nicht angesprochen. Dabei sehen wir doch mit unseren eigenen Augen, wie brisant diese Probleme bereits heute und nicht erst in ferner Zukunft sind. Offensichtlich besteht eine große Diskrepanz zwischen dem Diskurs auf höchster Ebene und dem, was tatsächlich passiert. Und das ist ein riesiges Problem.“
Laut Tortajada stehen viele Städte vor der grundlegenden Herausforderung, ihre Beziehung zum Wasser neu definieren zu müssen: „Einfach ausgedrückt, befinden sich Städte oft an für groß angelegte städtische Bebauung ungeeigneten Orten. Im Laufe der Geschichte haben Menschen immer wieder versucht, Flüsse zu zähmen, zu begradigen oder in Kanäle zu verwandeln. Sie haben Feuchtgebiete trockengelegt und bebaut. Wenn diese Gebiete dann überflutet werden, schlagen sie die Hände über dem Kopf zusammen und schieben es auf den Klimawandel. Ich dagegen sage: ,Nein, das kommt daher, dass ihr beschlossen habt, Feuchtgebiete zu bebauen.‘“
Für dieses Dilemma gibt es keine einfachen Lösungen. Gewachsene Städte wie London oder New Orleans können nicht einfach auf der grünen Wiese neu gebaut oder irgendwohin verpflanzt werden. Ihre Infrastruktur ist zu einem wichtigen Teil der Landschaft geworden. Genau wie ihre Bevölkerung. Eine Umsiedlung ist keine Option. Cloke und Tortajada sind sich allerdings einig, dass man bei zukünftigen Neubauten und Erschließungsvorhaben ebenso wie beim Umbau bestehender Gebäude und Strukturen intelligenter vorgehen kann:
„Als Erstes müssen wir anerkennen, dass Risiken bestehen, und dementsprechend planen und gestalten“, so Tortajada. „Wenn wir über die Resilienz von Stadtplanung sprechen, geht es weniger um Hochwasserschutz als um Hochwasserregelung“, stimmt Cloke zu. „Da es in unseren Städten immer wieder zu schweren Regenfällen kommen wird, müssen wir beim Bauen einen etwas anderen Ansatz verfolgen. Wenn man davon ausgeht, dass etwas überschwemmt werden kann, ändern sich die Gestaltungsparameter.“
Ein Problem der meisten Großstädte ist der Anteil an versiegelten Flächen. Weil sie unempfindlich und widerstandsfähig sind, finden sich Beton und Asphalt überall in unseren Innenstädten − auf Straßen und Parkplätzen, Gehwegen und Dächern. Regen kann auf diesen Flächen nicht versickern und fließt deshalb darauf entlang bis zum nächsten Durchlass oder Rinnstein. Und damit letztlich in die Kanalisation. Manche Städte verfügen über eine eigene Regenwasserkanalisation, über die das Regenwasser direkt in Flüsse oder Bäche abgeleitet wird, ohne über eine Kläranlage zu laufen. Andere Städte, insbesondere jene, die während der Industriellen Revolution rasch expandierten, setzen eher auf Mischwassersysteme, in denen die Abwässer aus privaten Haushalten, Gewerbe- und zuweilen auch Industriebetrieben durch dieselben Leitungen und Tunnel laufen wie das Regenwasser. Dieses Mischwasser wird dann in einer Kläranlage so lange bearbeitet, bis es strengen Umweltschutzanforderungen entspricht, um schließlich in ein nahe gelegenes Gewässer abgeleitet zu werden.
In der Regel funktioniert das gut. Problematisch wird es allerdings, wenn die Wassermengen in einem Mischwassersystem die Aufnahmekapazität dieses Systems übersteigen, wie etwa bei Starkregen oder während der Schneeschmelze. In diesen Fällen läuft das Mischwasser nicht durch die Kläranlage, sondern gelangt stattdessen über sogenannte Entlastungskanäle oder Überläufe direkt in nahe gelegene Gewässer. Viele Städte erneuern oder modernisieren derzeit ihre Kanalisation, um den Eintrag von Abwässern in ihre Gewässer sowohl in der Häufigkeit als auch im Umfang zu reduzieren. So baut London mit dem Thames Tideway Tunnel einen 25 Kilometer langen XXL-Abwassertunnel, bei dem drei Tunnelbohrmaschinen von Herrenknecht zum Einsatz kommen. Das Projekt wurde 2016 auf den Weg gebracht und wird nach seiner Fertigstellung Millionen Kubikmeter umweltbelastender Abflüsse auffangen, speichern und umleiten und damit die Anzahl der Direkteinleitungen von durchschnittlich 60 auf nur vier im Jahr reduzieren. In Washington D. C. werden jährlich mehr als 11 Milliarden Liter an Abwässern direkt in den Rock Creek, den Potomac und den Anacostia River eingeleitet. Die Stadt investiert deshalb in eine ähnliche Lösung wie London, das heißt in drei Tunnel, die mit Herrenknecht-Tunnelbohrmaschinen vorgetrieben werden. Ein vierter Tunnel ist bereits in Planung. Nach seiner Fertigstellung soll das Tunnelnetzwerk 98 Prozent aller Direkteinleitungen in die Flüsse verhindern.
Wenn man davon ausgeht, dass etwas überschwemmt werden kann, ändern sich die Gestaltungsparameter.
Diese Großmaßnahmen zur Modernisierung veralteter Abwassersysteme sind nicht nur von größter Bedeutung, sie sind auch wirksam und effizient, besonders wenn sie mit Wartungs- und Reparaturarbeiten kombiniert werden.
Die Kanalisation ist aber nicht die einzige potenzielle Schwachstelle von Städten im Zusammenhang mit Hochwasserereignissen. 2021 waren als Folge von Gewittern mit Starkregen Teile des U-Bahn-Netzes von London und New York zeitweilig überflutet. Vor langer Zeit ohne jeden Hochwasserschutz gebaut, sind diese Transportnetze besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels. Aber selbst U-Bahnen jüngeren Datums kann es treffen. Die Zhengzhou Metro zum Beispiel ist weniger als zehn Jahre alt. Dennoch füllte sich während einer Sturzflut im Juli 2021 ein kilometerlanger Metrotunnel mit Wasser, als in weniger als 24 Stunden die gesamte Niederschlagsmenge eines Jahres auf die Stadt niederging. 500 Menschen wurden von den Wassermassen in einem Zug eingeschlossen, 14 von ihnen starben.
Da die Eingänge zu den U-Bahn-Stationen in der Regel unter der Straßenoberfläche liegen und sowohl Zugangswege als auch Belüftungsschächte nach oben offen sind, ist es praktisch unmöglich, unterirdische Transportsysteme gänzlich gegen einströmendes Regenwasser abzuschotten.
Ein Grund mehr, unsere Städte so zu gestalten, dass das Wasser ausreichend Möglichkeiten hat, anderweitig abzufließen. Professorin Tortajada gibt unumwunden zu, wie beeindruckt sie vom Anblick war, der sie am Fuß der langen Treppe erwartete: „Allein die Größe war schon erstaunlich und machte klar, wie gut Tokio auf Überschwemmungen vorbereitet ist.“ Sie befand sich in einem riesigen, druckgeregelten Tank unter der Stadt Tokio. Dieser Tank ist Bestandteil eines Gesamtbauwerks, das gemeinhin als die ehrgeizigste jemals gebaute Hochwasserregelungsanlage gilt. Während eines Taifuns wird das Hochwasser in einen von fünf Silos geleitet, die jeweils 70 Meter hoch und 30 Meter breit und über Tunnel von jeweils 6,5 Kilometer Länge an den Tank angeschlossen sind. Dem Tank, in dem Tortajada stand, kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: In ihm wird das Wasser gespeichert und der Druck geregelt. Wenn das Unwetter abzieht, wird das Wasser von riesigen Pumpen in einer schier unfassbaren Größenordnung von 200 Tonnen pro Sekunde in den Fluss Edo gepumpt. Anlagen wie diese Tokioter „Hochwasser-Kathedrale“ sind eher die Ausnahme. Nur wenige Städte verfügen über ausreichend unterirdischen Raum beziehungsweise die finanziellen Mittel für derartige Bauwerke. Für Professorin Cloke sind sie auch nicht immer die richtige Lösung.
Eine sogenannte blau-grüne Infrastruktur spielt für den Erfolg von „Sponge Cities“ eine entscheidende Rolle.
Vielfalt an Lösungen
„Wir sprechen hier über riesige Bauwerke, die ein höheres Ausfallrisiko in sich tragen, daher habe ich gewisse Vorbehalte. In vielen Regionen kann man sein Geld wahrscheinlich anders besser anlegen. Natürlich lässt sich das nicht verallgemeinern, denn jede Stadt hat ihre ganz eigenen Herausforderungen. Jedenfalls sollte man sich nicht ausschließlich auf einen unterirdischen Tank verlassen.“
Kleinere, oberirdische Becken für die temporäre Speicherung von Hochwasser sind weit verbreitet. Je nach Konstruktion können sie Hochwasser in ein nahe gelegenes Gewässer oder über durchlässige Böden in unterirdische wasserführende Schichten ableiten und damit die Grundwasserversorgung einer Stadt verbessern. Manche Regionen nutzen auch Entlastungstunnel. Im schweizerischen Thun kann bei starken Regenfällen oder während der Schneeschmelze Seewasser in einen Tunnel abgelassen werden, was den Pegel und damit auch das Überschwemmungsrisiko senkt. Der Regenwassertunnel in Kuala Lumpur verfügt über verschiedene Ebenen. Wenn ein Monsun über die Stadt zieht, können zwei Fahrbahnebenen, auf denen Fahrzeuge verkehren gesperrt und als Hochwasser-Überlauf genutzt werden.
Zweifelsohne spielen solche technischen Infrastrukturelemente eine Schlüsselrolle im städtischen Hochwasserschutz. Für sich genommen werden sie aber nicht ausreichen, wie der Klimawandel in den letzten Jahren gezeigt hat. „Um Orte widerstandsfähiger gegenüber Überschwemmungen zu machen, braucht es eine ganze Palette unterschiedlicher Lösungen in unterschiedlichem Maßstab, und einige davon sollten natürlicher Art sein“, so Cloke.
Cloke beschreibt damit einen relativ neuen Ansatz in der städtischen Wasserwirtschaft, der immer populärer wird − die Idee der „Schwammstadt“ oder „Sponge City“. Wie der Name sagt, handelt es sich dabei um ein bebautes Gebiet, das gezielt darauf ausgelegt ist, Wasser aufzunehmen. Dieses Konzept erlangte erstmals 2013 internationale Aufmerksamkeit, als die chinesische Regierung die Teilnahme von 30 Städten an einem Pilotprogramm ankündigte, in dem es darum ging, die Beziehung der Städte zum Wasser neu zu gestalten.
Eine sogenannte blau-grüne Infrastruktur spielt für den Erfolg dieses Konzepts eine entscheidende Rolle. So werden etwa Feuchtgebiete, Teiche, Flüsse oder Überschwemmungsflächen nicht mehr überbaut, sondern als „blaue Elemente“ bewusst in die Stadtlandschaft integriert. In gleicher Weise erhalten Städte durch grüne Flächen wie Parks, Felder, Wälder, Rasenflächen, Anpflanzungen oder Dachgärten ein größeres Versickerungspotenzial. Wasser kann auf diesen Flächen versickern bzw. aufgefangen und vor Ort genutzt werden. Bei starken Regen-fällen entlastet das die Kanalisation, bei weniger starken Regenfällen kann damit Staunässe vorgebeugt werden. Wo harte Oberflächen erforderlich sind, werden Materialien wie Porenbeton, Ziegelstein oder Asphalt bevorzugt.
Sogenannte Sponge Cities
sind durch städtebauliche und architektonische Maßnahmen darauf ausgelegt, Wasser wie ein Schwamm aufzunehmen und dadurch Überschwemmungen zu mildern oder ganz zu vermeiden (hier eine exemplarische Darstellung verschiedener Elemente einer Sponge City).
Der Grundgedanke von Schwammstädten ist, mit dem natürlichen Wasserzyklus zu leben, statt ihn kontrollieren zu wollen. Maßnahmen dieser Art haben gemeinhin auch Vorteile, die über die reine Wasserwirtschaft hinausgehen. So lässt sich damit auch der Effekt urbaner Hitzeinseln abschwächen und die Luftqualität verbessern. Und wie das Beispiel des Benthem-Platzes in Rotterdam zeigt, kann ein als Teil der Hochwasserregelung konzipiertes Bauwerk gleichzeitig ein Anziehungspunkt für die Bevölkerung werden, wenn man eine Bühne, einen Skatepark und andere Sportstätten darin integriert. Besonders Grünflächen jeglicher Art haben nachweislich einen positiven Effekt auf das physische und psychische Wohlbefinden der Menschen, die in ihrem Umfeld leben.
Im zurückliegenden Jahr kamen Zweifel an der Wirksamkeit dieses Konzepts auf. 2018 hatte Zhengzhou noch erklärt, es wolle bis 2030 fast 80 Prozent seiner Kernstadt zur Schwammstadt machen, und verfolgte diesen Weg konsequent.
Trotzdem verursachte der Sturm im Juli 2021 bisher nie da gewesene Überschwemmungen, die über eine Million Menschen vorübergehend obdachlos machten. In der Folge gerieten das Schwammstadt-Programm und die Kommunalpolitiker stark in die Kritik.
Experten, wie etwa Kong Feng von der landwirtschaftlichen Universität in Peking, wiesen jedoch darauf hin, dass die Pegel in Zhengzhou nach der Überschwemmung schneller fielen, als dies ohne die Investitionen in den Hochwasserschutz der Fall gewesen wäre. Erfahrungen aus anderen Pilotstädten legen ähnliche Schlussfolgerungen nahe.
Nach Ansicht von Cloke hätte selbst die perfekte Schwammstadt bei einem solchen Jahrtausendereignis wie 2021 Probleme bekommen: „Mikro-Maßnahmen dieser Art können wirtschaftlich sinnvoll sein − sie mindern die Auswirkungen kleinerer und mittlerer Hochwasser, die häufiger vorkommen. Es muss aber auch klar sein, dass sie ihre Grenzen haben. Wirklich großen Hochwasserereignissen werden sie nicht standhalten können.“
Tortajada teilt diese Einschätzung: „Funktioniert das Konzept der Schwammstadt? Ja, aber es ist kein Allheilmittel und es macht die Versäumnisse der Vergangenheit nicht ungeschehen. Wenn wir in Zukunft wirklich zuverlässige Lösungen wollen, müssen wir die Dinge systematisch angehen. Mit physischer, aber auch mit digitaler Infrastruktur, wie etwa mit Daten von Sensoren und Vorhersagen, die grenzüberschreitend bereitgestellt werden. Vor allem aber muss der Faktor ‚Wasser‘ in allen Entscheidungsprozessen eine zentrale Rolle spielen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Foto oben: New York von oben, Benjamin Gremler on Unsplash
Die Autorin,
LAURIE WINKLESS
Laurie Winkless ist eine irische Physikerin und Autorin. Nach ihrem Studium und ihrer Promotion arbeitete sie am National Physical Laboratory in Großbritannien als Forscherin, wo sie sich auf Funktionswerkstoffe spezialisierte. Laurie Winkless lebt jetzt in Neuseeland und vermittelt seit 15 Jahren Wissenschaft an eine größere Öffentlichkeit. Sie hat u. a. mit wissenschaftlichen Instituten, Ingenieurunternehmen, Universitäten und Astronauten zusammengearbeitet. Ihre Artikel wurden u. a. in den Zeitschriften Forbes und Wired veröffentlicht. Sie hat zwei Bücher geschrieben: Science and the City (Okt. 2016) und Sticky (Nov. 2021), die beide weltweit bei Bloomsbury erschienen sind.